Der Arbeitsbereich konzentriert sich auf Formen der Übersetzung, wie sie sich aus der Einflussnahme des menschlichen Körpers in seiner psychophysischen Gestalt ergeben. Der bei Inszenierungen wie etwa der Aufführung eines Tanztheaters oder bei kirchlichen Prozessionen involvierte menschliche Körper fungiert für die zu leistende Übersetzung als mediales Relais: Durch ihn und an ihm werden Transformationsprozesse miteinander verbunden. Diese Transformation umfasst eine doppelte Übersetzungsleistung: Einerseits erstreckt sie sich nämlich vom sinnlichen Eindruck einer Vorlage zu den darauf bezogenen (individuellen) Vorstellungen und andererseits von den (individuellen) Vorstellungen zu einer darauf bezogenen Körperbewegung. Dabei werden häufig in den zuletzt angeführten Übersetzungsschritt Regulierungsmaßnahmen implementiert, die die Performativität zum Wohle des Einzelnen ordnen sollen und somit rückwirkend als Disziplinierungsmaßnahme des Individuums und seiner Imaginationsfähigkeit beschreiben werden können, insofern die individuelle Imagination als eine das Soziale (z.B. die Prozession der Gläubigen, die Choreographie des Tanzensembles u.a.m.) gefährdende, weil hypertrophe und daher als notwendig zu zähmende Instanz bestimmt wird. Unter der Bezeichnung performative Übersetzung lassen sich also nicht nur ästhetische, sondern auch diskursive Fragestellungen behandeln.
Die Hypothesenbildung kreist zunächst um den Terminus der symbolic action, den der amerikanische Schriftsteller, Literatur- und Kommunikationstheoretiker Kenneth Burke (1897-1993) in seinem Werk Language as Symbolic Action: Essays on Life, Literature and Method (Berkeley 1966) entfaltet hat. Symbolische Handlungen betreffen zwar laut Burke in erster Linie die Literatur und alle verbalen Äußerungen; sie dienen aber weit mehr als der bloßen Informationsvermittlung. Vielmehr ist in ihnen eine Form des Rituals greifbar, mit dem sich ein Autor zu seinem wie auch immer gearteten Umfeld – der literarischen Vorlage o.ä. – verhält. Die symbolic action betrifft also nicht nur die Literatur, sondern jede Form von Wechselbeziehung zwischen dem Zeichensystem einer Vorlage (Text, Lied, Musikstück o.ä.m.), dem Körper und dem Geistigem. Für die Performativität heißt das: Jeder, der das Zeichensystem (die Textur) eines Autors – beispielsweise das Wort-Ton-Gefüge eines Prozessionshymnus' oder das Ton-Bewegungs-Gefüge einer Choreographie –, realisiert ('zur Aufführung bringt'), kann als Autor angesehen werden. Über die Performativität nämlich ergibt sich eine Wechselbeziehung zwischen der Vorlage des Autors, dem mentalen Modell sowie dem Körper des Aufführenden.
Die Begriffe mentales Modell oder auch integriertes mentales Modell stammt aus der kognitiven Psychologie (z.B. Sarit Barzilai, Asnat R. Zohar, Shiri Mor-Hagani (2018): „Promoting Integration of Multiple Texts. A Review of Instructional Approaches and Practices“. In: Educational Psychology Review 30/3. Berlin: Springer, S. 973-999; M. Anne Britt, Jean-Francois Rouet: „Learning with Multiple Documents: Component Skills and Their Acquisition“. In: John R. Kirby, Michael J. Lawson (2012): Enhancing the Quality of Learning. Dispositions, Instruction, and Learning Processes. Cambridge: University Press, S. 276-314). Unter dem mentalen Modell versteht man ein Konzept, das sich der Rezipient zu einem (kontinuierlichen oder diskontinuierlichen Text) bildet; analog dazu versteht man unter einem integrierten mentalen Modell ein Konzept, das sich der Rezipient zu zwei oder mehreren Texten bildet, wobei hierbei zusätzlich die Frage nach möglichen Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den einzelnen Vorlagentexten entscheidend ist.
Textvorlage des Autors, mentales Modell, Körper des Aufführenden: In dieser Triade wiederum kann der menschliche Körper als Übersetzungsinstrument angesehen werden, da er einerseits zwischen dem Zeichensystem der Vorlage und dem sich darüber bildenden mentalen Modell des Rezipienten, andererseits zwischen dem mentalen Modell und einer damit in Wechselwirkung stehenden körperlichen Handlung, der symbolic action, vermittelt.
Wie lässt sich nun diese Wechselbeziehung analysieren? Ist es hilfreich auf Wolfgang Isers Dyade vom Fiktiven und Imaginären (1991) zurückzugreifen? Da mit einer Aufführung stets auch der Ausschluss anderer Aufführungsvarianten einhergeht: Bietet sich der gezielt vorgenommene Eingriff (Intentionalität) in die Vorlage die Intentionalität als Analyseansatz an? In jedem Fall erscheint es zunächst ratsam, die Textvorlage in Form strukturaler Beschreibungskonzepte (vgl. Michael Titzmann 1977) sowie die Performativität anhand bestehender Kriterien zur Erfassung von Körperbewegungen (Proxemik, Kinesik und Kinetik: vgl. Paul Ekmann; Wallace V. Friesen (1981): „The Repertoire of Nonverbal Behaviour. Categories, Origins, Usage and Coding“. In: Kendon, Adam [1981]: Nonverbal Communication, Interaction, and Gesture. Den Haag: De Gruyter, S. 57-105. Vgl. hierzu auch: Fernando Poyatos (1983): New Perspectives in Nonverbal Communication. Oxford: Pergamon) möglichst präzise zu beschreiben.
Das Panorama an möglichen Untersuchungsgegenständen ist weit: Zu denken wäre beispielsweise an choreographische und dramaturgische Konzepte des (modernen) (Tanz-)Theaters ebenso wie an die historische Aufführungspraxis, aber auch an die Paraden von Boxern und Sportmannschaften. Die Konzentration erfolgt dabei zunächst auf jene performativen Übersetzungen, die sich durch eine differenzierte Kontext-Bildung auszeichnen: So finden sich beispielsweise im sakralen Raum im liturgische Vorschriften für die Prozession im kirchlichen und/oder öffentlichen Raum. Vergleichbar dürfte sich die Situation für das moderne Tanztheater und dessen choreographische Konzepte gestalten. Ganz gleich, für welchen Untersuchungsgegenstand man sich entscheidet: Stets sollte die Möglichkeit der impliziten Disziplinierung über die Ordnung von Bewegungsabläufen des menschlichen Körpers mitberücksichtigt werden.
Bibliographie: Performativität und Übersetzung
6. Hermeneutik und Kreativität christlicher traditio << |